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Nicht nur von Stadtbehörden ausgestellt: Geburtsbriefe aus Kurland

ABO - ARCHIVALIA BALTICA ONLINE 2. Ausgabe (Mai 2022)


Geburtsbrief aus Kurland
Geburtsbrief - Archivsignatur: CSA 100 Spehr 8, Nr. 69 (siehe 2. unten)

Geburtsbriefe, nicht nur aus der baltischen Region bekannt, sind sicher „eine der wichtigsten Quellen für die Familienforschung“ (so Roland Seeberg-Elverfeldt 1980). Sie sind Urkunden, die zahlreiche Informationen über eine Person enthalten – zum Teil weit über die Informationen hinaus, die man auch aus Kirchenbüchern gewinnen kann. Da ist zunächst einmal, wie der Name dieser Quellengattung schon sagt, die Bestätigung der Geburt einer Person, die Nennung der Eltern und die Beglaubigung der ehelichen Geburt, oft auch des „ehrlichen“ Standes, manchmal der deutschen Abstammung. Mit der Auskunft, dass man nicht leibeigen sei, konnte man auch in einer anderen Stadt das Bürgerrecht erwerben und in eine der Handwerkszünfte oder in weitere Ämter aufgenommen werden und in entsprechende einheimische Familien einheiraten.

Die Erforschung baltischer Geburtsbriefe

Was die baltische Region angeht, hat sich Roland Seeberg-Elverfeldt als Erster intensiv und gründlich mit dieser Quellengattung beschäftigt, wobei er sich auf eine Sammlung von fast 150 Geburtsbriefen aus Kurland aus den Jahren 1608-1827 stützen konnte, die zum Archiv der Kurländischen Ritterschaft gehören, das seit 2006 in der Dokumentesammlung des Herder-Instituts in Marburg als Depositum dieser Ritterschaft der Forschung zur Verfügung steht. Von den 150 Geburtsbriefen sind allein 79 aus der kurländischen Hauptstadt Mitau. Seeberg-Elverfeldt erschloß diese Geburtsbriefe, indem er für jeden von ihnen einen Regest anfertigte. Er leistete damit eine beachtliche Grundlagenarbeit als Voraussetzung für jegliche spätere Nutzung.


Da in Marburg sämtliche Geburtsbriefe aus Städten stammen, könnte leicht der Eindruck entstehen, dass diese Quellengattung eine Sache nur der Städte gewesen sei. Dieser Eindruck wird korrigiert, wenn man zwei kleine Vorgänge heranzieht, die sich im Nachlaß des Libau-Forschers Ernst Fedor Spehr (1863-1935) im Carl-Schirren-Archiv Lüneburg erhalten haben:


1. Archivsignatur: CSA 100 Spehr 7, Nr. 45

Nicollas Chefdhostel verpflichtet sich, innerhalb von vier Monaten für das bereits erworbene Bürgerrecht in Libau noch einen Geburtsbrief nachzureichen, andernfalls er des Bürgerrechts verlustig ginge, unterschrieben und mit eigener Petschaft untersiegelt, dat. Libau, den 18.7.1670.


2. Archivsignatur: CSA 100 Spehr 8, Nr. 69

Der Gutsherr Otto Ernst von Rummel stellt auf seinem Gut Pormsahten, im Kr. Hasenpoth gelegen, 33 km sö Libau, am 11. Mai 1733 einen Geburtsbrief für Heinrich Ernst Mittag aus, der anno 1717 auf dem Hofe Adl. Dehlsen [Dehsseln], Kr. Hasenpoth gelegen, 6,5 km osö Amboten, geboren und von Pastor Johann Georg Grüner(t) (gest. 1720) in Amboten getauft wurde. Aufgewachsen und christlich erzogen wurde er in Pormsahten, das von ca. 1500 bis 1820 im Besitz der Familie v. Rummel war. Seine Eltern waren der Gerber Jakob Reinhold Mittag aus Durben (Kurland) und Maria Veronica Bogdan aus der kleinen Stadt Heyka (?). Zeugen werden nicht genannt. Der Gutsherr erklärt, dass sein „glaubwürdiges Attest“ möglichst umgehend durch das Hauptmannsgericht in Goldingen durch dessen Siegel „corroborieret“ [bekräftigt] werden möge, was also für die volle Gültigkeit des Geburtsbriefes erforderlich war.

Der Geburtsbrief für Heinrich Ernst Mittag belegt, dass Geburtsbriefe nicht nur von Stadtbehörden ausgestellt wurden, sondern von einer jeglichen Herrschaft – auch der auf dem Lande, die dort in jener Zeit noch durch die Gutsbezirke repräsentiert war.

Peter Wörster



Literaturhinweise

Roland Seeberg-Elverfeldt: Kurländische Geburtsbriefe aus den Jahren 1608-1827. In: Ostdeutsche Familienkunde, Bd. 9, 28. Jg. (1980), H. 4, S. 138-152. Ders.: Mitauer Geburtsbriefe aus den Jahren 1653-1807. In: Ostdeutsche Familienkunde, Bd. 9, 29. Jg. (1981), H. 3, S. 225-234.


Dorothee M. Goeze u. Peter Wörster: Baltische Geschichte im Archiv. Aus den Schätzen der Dokumentesammlung des Herder-Instituts in Marburg. Marburg 2017, S. 28 f.


Peter Wörster: Ein Leben für Libau. Vor 85 Jahren starb der Pädagoge und Libau-Forscher Ernst Fedor Spehr. In: Deutsch-baltisches Jahrbuch, 67. Bd. (2019), S. 132-140.


Jana Schreiber: Die kurländischen Geburtsbriefe aus dem Bestand des Archivs der Kurländischen Ritterschaft. In: Deutsch-baltisches Jahrbuch, 68. Bd. (2020), S. 107-111. [Es ist nicht verständlich, warum die Verf.-in die beiden grundlegenden Artikel von Seeberg-Elverfeldt nicht erwähnt.]


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