ARCHIVALIA BALTICA ONLINE
Tartu/Dorpat zum Kulturhauptstadtjahr 2024
14. Ausgabe (Dezember 2024)
Neffe der „sechs Brüder von Oettingen“
Der Arzt, Schriftsteller, Maler und Wissenschaftsorganisator Roderich v. Engelhardt war von beiden Elternteilen her ein Sohn der Stadt Dorpat. Sein Vater war der Kirchenhistoriker Moritz v. Engelhardt (1828–1881, DBBL, S. 192), seine Mutter Amalie v. Oettingen (1835–1914), Tochter des Landespolitikers Alexander v. Oettingen [d.Ä.] (1798–1846, DBBL, S. 555) und Schwester der „sechs Brüder von Oettingen“. Durch seine eigene Eheschließung mit Alma v. Radloff 1888 in Dorpat ergab sich noch eine zusätzliche Verbindung mit seiner Vaterstadt.
Sein Lebensweg, seine Ferienkurse und Mitwirkung an der Livland-Estland-Ausstellung
Roderich v. Engelhardt, geb. 1862 in Dorpat, erhielt zunächst Privatunterricht, besuchte dann das Gymnasium in Dorpat, danach die Landesschule in Fellin. Er studierte seit 1881 Medizin in Dorpat und wurde 1888 zum Dr. med. promoviert. Nach Weiterbildung in Würzburg und Berlin arbeitete er von 1891-1914 als Facharzt in Riga. 1903 begab er sich auf eine längere Reise nach West- und Südeuropa, worüber er später ein Buch veröffentlichte („Skizzen aus Spanien und Paris“, Berlin 1905). 1904/05 nahm er am russisch-japanischen Krieg teil. 1913 organisierte er in Riga-Strand Ferienkurse von Gelehrten, auch solchen aus Deutschland, als „Versuch einer Überbrückung der Gegensätze von Wissenschaft und Leben, von Geisteswissenschaften u. Naturwissenschaften, von Mechanismus u. Vitalismus“, zugleich als „Ersatz für die russifizierte Univ. Dorpat“ (DBBL). 1914 bis 1917 war er als russischer Reservearzt im Kriegseinsatz. 1918 kam er in das noch deutsch besetzte Riga zurück, wo er Leiter der Vortragskommission der Livland-Estland-Ausstellung wurde. 1919 bis 1924 weilte er zu kulturphilosophischen Studien in Deutschland. 1921 gestaltete er in Dresden die Wanderausstellung „Der Mensch“. 1925 erschien in München sein Hauptwerk „Organische Kultur“. 1924 kehrte er nach Reval zurück und arbeitete wieder als Arzt. 1929 zog er nach Dorpat um. 1925 bis 1932 gab er die von ihm gegründete Monatsschrift „Aus deutscher Geistesarbeit“ für wissenschaftliche und kulturelle Fragen der Gegenwart heraus. Außerdem war er Leiter der Sektion für Hochschulwesen des deutschen Kulturamts. Zweimal pro Jahr organisierte er Vortragskurse deutscher Gelehrter in Reval und Dorpat. Er prägte die deutschbaltische akademische Jugend nachhaltig. In Riga war Roderich v. Engelhardt Mitglied der Herder-Gesellschaft.
„Die Deutsche Universität Dorpat in ihrer geistesgeschichtlichen Bedeutung“
Die Deutsche Akademie in München unterstützte seine Bemühungen um die Erhaltung der geistigen Traditionen der deutschen Univ. Dorpat, wovon u. a. sein Buch „Die Deutsche Universität Dorpat in ihrer geistesgeschichtlichen Bedeutung“, München 1933, zeugt. Seine letzten Monate verbrachte er krankheitsbedingt in Bad Kissingen. Er starb 1934 auf einer Reise nach München. Seine Urne wurde auf dem Friedhof der St. Johannis-Gemeinde in Dorpat beigesetzt.
Sein Nachlass im Carl-Schirren-Archiv und der Nachlass Moritz v. Engelhardts
Durch Vermittlung Herbert Petersens (vgl. ABO 13), seines Schülers und Freundes, gelangte der umfangreiche Nachlass Roderich v. Engelhardts nach 1980 in verschiedenen Lieferungen teils als Geschenk, teils auf dem Wege des Ankaufs zur Carl-Schirren-Gesellschaft. Der Nachlass umfasst im Wesentlichen Personaldokumente, Korrespondenzen (u. a. Brief von Johannes Haller, Tübingen), literarische Arbeiten u. Vorträge, sowie künstlerische Arbeiten v. Engelhardts. Ebenso enthält der Nachlass auch Teile der Überlieferung anderer Familienmitglieder, unter denen der Nachlass seines Vaters Moritz (1828-1881) besondere Erwähnung verdient.
Literatur
„der den Geist Dorpats spüren ließ“: Zitat von Herbert Petersen über Roderich v. Engelhardt
Petersen, Herbert: Roderich von Engelhardt zum Gedächtnis. In: Baltische Monatshefte (Riga), Jg. 1934, S. 461-464.
DBBL, S. 193 (via BBLd.)
Sammlung Nachrufe im Nachlass (vgl. Nr. 9 des Nachlasses).
Petersen, Herbert: Roderich Baron Engelhardt und die „Fortbildungskurse“ in Riga, Dorpat und Reval. In: Reval und die Baltischen Länder. Festschrift für Hellmuth Weiss zum 80. Geburtstag. Hrsg. Jürgen von Hehn u. Csaba János Kenéz. Marburg/Lahn 1980, S. 495-508.
Hoheisel, Wilhelm: Wandervogel und Jugendbewegung im Baltikum 1916-1934. Frankfurt a.M. 1982, S. 287.
(CSA 100 Engelhardt, 1–259 AE)