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Peter Wörster

Die deutsche Zeitung in Dorpat/Tartu und Herbert Petersen, ihr letzter Chefredakteur bis 1939

ARCHIVALIA BALTICA ONLINE

Tartu/Dorpat zum Kulturhauptstadtjahr 2024

13. Ausgabe (November 2024)


Deutsche Zeitungen in Dorpat

Zeitungen gehören zur Kulturgeschichte einer Stadt. Sie sind Chronik und dienen zugleich der Verbreitung von Kenntnissen auf vielen Wissensgebieten und auch der Meinungsbildung ihrer Leser. Das galt auch für die deutschen Zeitungen in Dorpat vor 1939, also solange Deutsche noch in nennenswerter Zahl im „Athen am Embach“ lebten und wirkten.

In Dorpat erschien von 1789 bis 1875 das zunächst „Dörptsche Politisch Gelehrte Zeitung“, bald aber schon „Dörptsche Zeitung“ genannte Presseorgan. 1866 gründete der Verleger Carl Emil Johann Mattiesen (DBBL, 492) die „Neue Dörptsche Zeitung“, die im Zuge der Russifizierung und der Umbenennung Dorpats in „Jurjew“ zwischen 1897 und 1914 „Nordlivländische Zeitung“ hieß. Nach dem Verbot deutschsprachiger Zeitungen durch die russische Regierung ab 1914/15 erschien 1917 nach der russischen Februarrevolution in Dorpat die „Dorpater Zeitung“. Sie konnte sich bis 1920 halten und setzte dann nach 1925 wieder ein.

Wenn einmal die Kulturgeschichte der Dorpater Deutschen in der Zwischenkriegszeit geschrieben wird, muss der „Dorpater Zeitung“, die von 1934 bis 1939 als „Deutsche Zeitung“ erschien, gedacht werden. Dabei wird der Journalist Herbert Petersen besondere Aufmerksamkeit beanspruchen dürfen, der von 1933 bis 1939 ihr Chefredakteur war.


Herbert Petersen aus Fellin und seine Tätigkeiten in Dorpat

Herbert Petersen wurde 1902 in Fellin/Viljandi geboren und lebte dort bis zum Abitur am bekannten Livländischen Landesgymnasium. Petersen starb 1981 in Lübeck. Zwischen 1922, als er in Dorpat seine Studien begann, und 1939, als er sich der Umsiedlung anschloss, lebte und wirkte er über 15 Jahre in Dorpat. Nach Reisen in Deutschland kehrte er zurück und wurde Mitarbeiter der „Dorpater Zeitung“, war dann dort in führender Position bis zur Umsiedlung im Oktober 1939 tätig. Das Büro befand sich in der Wallgrabenstraße [Vallikraavi] 4, im Gebäude der Mattiesen’schen Druckerei, in der auch die „Deutsche Zeitung“ bis zum Schluss gedruckt wurde. Bis dahin lebte er zusammen mit seiner Schwester Gertrud Anna Marie (geb. 1903) in der Gartenstraße (Aia Tänav) 28), in der sich auch das Photoatelier Carl Schultz befand.


Herbert Petersen, Schweden und sein Kontakt zu Olof Palme

Passfoto von Herbert Petersen um 1950 (Signatur: CSA 100 Petersen 18)

Kurz nach der Umsiedlung kehrte er nach Estland zurück, um Chefredakteur der von der estnischen Regierung gegründeten deutschsprachigen „Ostsee-Zeitung“ zu werden.  Kurz vor Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges kehrte er nach Deutschland zurück, um freilich kurz nach Besetzung Estlands durch deutsche Truppen wieder in sein Heimatland zu gehen und wiederum in den Redaktionen deutscher Zeitungen zu arbeiten, zeitweilig sogar als Chefredakteur der „Revaler Zeitung“. Da er sich für die Eigenstaatlichkeit Estlands einsetzte, geriet er mit der politischen Führung in Konflikt und verließ Estland. Er ging nach Berlin, um sich der Umsiedlung der Estland-Schweden zu widmen, woraus sich ergab, dass sich Petersen nach Kriegsende in Uppsala, später in Malmö niederließ. Er unterstützte seine verwitwete Schwester mit ihren Kindern und baute ein ganzes Hilfswerk auf, das mit Spenden aus Schweden die Not deutscher Flüchtlinge in Schleswig-Holstein linderte. Er gewann neue Freundeskreise und arbeitete für verschiedene Zeitungen u. Zeitschriften. Zwischen 1966 und 1981 lieferte er fast jährlich Beiträge zum „Jahrbuch des baltischen Deutschtums“ der Carl-Schirren-Gesellschaft, u.a. über Werner Bergengruen, Otto v. Taube, Siegfried v. Vegesack. In Schweden erhielt er auch Kontakt zum später (1986) ermordeten Ministerpräsidenten Olof Palme (mütterlicherseits deutschbaltischer Herkunft). Petersen trat auch als Übersetzer vor allem aus dem Schwedischen hervor. Gestützt auf ausgedehnte Archivstudien in Schweden und Deutschland, bearbeitete Petersen in den 1960er und 1970er Jahren Themen aus der Geschichte des Baltikums und Schwedens im 20. Jh. und der deutsch-schwedischen Beziehungen, schrieb neben zahlreichen Artikeln auch Bücher und war als Herausgeber tätig.


Herbert Petersens Nachlass und die Frage: Stehen wir vor einer neuen Beschäftigung mit einer ungewöhnlichen Persönlichkeit?

Nach Petersens Tod 1981 gab es Gedenkartikel, meistens von alten Weggefährten. Diese würdigten umfassend den Menschen, den Journalisten und den Wissenschaftler. 1982 beschäftigte sich Wilhelm Hoheisel in seinem Buch „Wandervogel und Jugendbewegung im Baltikum 1916–1934“ noch einmal ausführlich mit Petersens Bedeutung für diese eine ganze Generation prägende Bewegung. Seitdem ist Herbert Petersen weitgehend unbeachtet geblieben. Einen neuen Impuls könnte die Beschäftigung mit ihm gewinnen, da sein umfangreicher Nachlass im „Carl-Schirren-Archiv“ in Lüneburg aufbewahrt wird.  

Zu diesem Bestand gehört nur sehr wenig Originales aus der Tätigkeit vor 1939 als Journalist in Dorpat. Gleichwohl sind den umfangreich erhaltenen Korrespondenzen aus der Nachkriegszeit mit Schriftstellern (allein über 50 Originalbriefe Werner Bergengruens), Historikern, Diplomaten, Verlagen und Weggefährten sowie seinen Zeitungsartikeln zahlreiche Informationen auch über seine Zeit in Dorpat bis 1939 zu entnehmen.   

Relativ wenige Archivalien, die Herbert Petersen betreffen, sind im estnischen „Archiv-Informations-System“, originale Bestände der „Dorpater Zeitung“ resp. der „Deutschen Zeitung“ im estnische Digitalarchiv „Digar“ nachgewiesen.

 

Peter Wörster

 

Literatur

Angelus, Oskar: Eestist Saksamaale ümberasunule nimestik. Verzeichnis der aus Estland nach Deutschland Umgesiedelten. Tallinn 1939, S. 143.

Grohmann, Justus: „…Es war eine schöne Zeit“. Wie schleswig-holsteinischen Deutschbalten in den Nachkriegsjahren geholfen wurde. In. Jb.d.balt.Dts, Bd. 36 (1989), S. 91-104.

Kroeger, Gert: Herbert Petersen in memoriam. In: BB, Nr.7/8 (392), Juli/August 1981, S. 4.

Lenz [sen.], Wilhelm: Album Livonorum 1971, S. 554.

Maurach, Walter: Herbert Petersen (✝). In: Jb.d.balt.Dts, Bd. 29 (1982), S. 9-11.

Selart, Anti u. Mati Laur: Dorpat/Tartu. Geschichte einer Europäischen Kulturhauptstadt. Wien 2023, S. 155-168.

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