ARCHIVALIA BALTICA ONLINE
Tartu/Dorpat zum Kulturhauptstadtjahr 2024
15. Ausgabe (Dezember 2024)
„Das neue Universitätsgebäude hat mehr Ernst als gefällige Schönheit“
So charakterisierte Johann Friedrich August Ludolf Woltmann in seiner Beschreibung einer Reise nach St. Petersburg, Stockholm und Kopenhagen. Hamburg 1833, das Gebäude der Universität Tartu/Dorpat.
Richard Westrén-Doll, geb. 1933 (in Polli-Lilli/Pollenhof, bei Viljandi/Fellin), gest. 2011 (in Lüneburg) war Architekt und Dipl.-Ing. In seinem Nachruf in den Mitteilungen aus Baltischem Leben (November 2011, S. 7) heißt es: „Er prägte entscheidend über Jahrzehnte in den Vorständen und als stellvertretender Vorsitzender der Carl-Schirren-Gesellschaft und der Deutschbaltischen Kulturstiftung die deutschbaltische Kulturarbeit. Seiner Diplomatie und beharrlichen Durchsetzungsfähigkeit ist nicht nur die feste Verankerung im Brömsehaus, sondern in besonderem Maße die Gesamtplanung des umfassenden Projektes einer deutschbaltischen Abteilung im Ostpreußischen Landesmuseums in Lüneburg zu verdanken. Er war Träger des Bundesverdienstkreuzes.“
Gewiss ist in dieses Spektrum des persönlichen Interesses und auch der Absicht, Wissen weiterzuverbreiten, ein Modell der Stadt Tartu/Dorpat (100 x 100 cm) einzuordnen. Es zeigt die Stadt vom Embach bis zum Domberg, von der Markhalle bis zu den ersten Ausläufern des Botanischen Gartens im 19. Jahrhundert.
Die Kenntnisse der Unterzeichneten besagen, dass dieses Modell um 2000 von Studierenden der Kunsthochschule Tartu/Dorpat angefertigt wurde – unter der Leitung von Richard Westrén-Doll.
Der Ausschnitt zeigt eines der Wahrzeichen der Stadt Tartu/Dorpat: das Hauptgebäude der Gustav-Adolf-Universität; gebaut in der Zeit von 1803 bis 1809. Verantwortlich für diesen Bau war Johann Wilhelm Krause, dessen ebenso typische wie ungemein facettenreiche Karriere im Baltikum fasziniert. Geboren 1757 in Schlesien, nach Ausbildung zum Stadtarchitektenlehrling und Studium der Theologie in Leipzig und Militärdienst u.a. in Amerika, war er seit 1787 Hofmeister in Livland u.a. beim Grafen Mellin. Durch die Vermittlung wohl seines Schwagers, dem Sekretär der Livländischen Gemeinnützigen Societät, Georg Friedrich Parrot, kam er nach Tartu/Dorpat. Dort machte es sich einen Namen durch seine architektonischen Werke: das Hauptgebäude der Universität, das Anatomicum, die Sternwarte und die Engelsbrücke; daneben zeichnete er für den Ausbau des Chors der Domruine als Universitätsbibliothek verantwortlich. Und dies, obwohl wie Selart/Laur schreiben, er eigentlich „vor der Projektierung der Universitätsgebäude […] keine herausragenden architektonischen Leitungen vorzuweisen [hatte]. Daher war Krause zweifelsohne eine mutige und wie man heute sagen kann, auch eine sehr gelungene Wahl.“ Gestorben ist Krause in Dorpat 1828.
Krause war auch literarisch tätig. Die Baltische Historische Kommission hat ein Tagebuch, transkribiert und herausgegeben von Gottfried Etzold (Wolfenbüttel/Dresden), veröffentlicht, in der eindringlich die Wanderjahre von Krause beschrieben werden. Es fehlen noch die Jahre seiner so umfangreichen Bautätigkeit in Tartu/Dorpat. Auch hat Krause zeitlebens gezeichnet; so sollen die Illustrationen im Mellinschen Atlas von ihm stammen.
Dorothee M. Goeze
Literatur
BBLd s. v. Westrén-Doll, Richard, Krause, Johann Wilhelm (v.)
Engelhardt, Roderich von: Die deutsche Universität Dorpat in ihrer geistesgeschichtlichen Bedeutung. München 1933.
Literarischer Stadtspaziergang Dorpat: https://muuseum.tartu.ee/tartu-dorpat/
Hier: Woltmann, Johann Friedrich August Ludolf: Beschreibung einer Reise nach St. Petersburg, Stockholm und Kopenhagen. Hamburg 1833, S. 60.
Mitteilungen aus Baltischem Leben, November 2011, S. 7.
Pullat, Raimo (Hrsg.): Tartu Ajalugu. Tallinn 1980. S. 138
Selart, Anti u. Mati Laur: Dorpat/Tartu. Geschichte einer Europäischen Kulturhauptstadt. Wien 2023, S. 115.
Üprus, Helmi: Tartu Riikliku Ülikooli peahoone. Главное здание Тартуского государственного университета. The main building of Tartu State University. Tallinn 1959.
Mit diesem Foto aus einem Stadtmodell Tartu/Dorpat zur Zeit des 19. Jahrhunderts wollen wir einer so berühmten Bildungseinrichtung noch einmal zum Ende des Jahres, da die Stadt Tartu/Dorpat Kulturhauptstadt Europas war, gedenken.
Wir wünschen hiermit allen Lesern und Leserinnen unserer „Archivalia Baltica Online“ gesegnete Weihnachten und ein gutes neues Jahr 2025.