ARCHIVALIA BALTICA ONLINE 9. Ausgabe (April 2024)
Die Beziehungen Königsbergs und Ostpreußens nach Mitau und Kurland waren im 18. und 19. Jh. intensiver als davor und danach. Dem kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Austausch kam hohe Bedeutung zu. Aus diesem Austausch ergaben sich zahlreiche Wanderungsbewegungen nach Kurland und in die anderen russischen Ostseeprovinzen. In großer Zahl kamen Hauslehrer aus Deutschland über Königsberg in die baltische Region. So intensivierten sich auch die familiären Verbindungen.
Königsberg, Dorpat, Mitau
Als die 1632 in Dorpat gegründete Universität 1710 im Nordischen Krieg zwischen Schweden und Russland untergegangen war, hatten die Ostseeprovinzen bis zur Neugründung 1802 keine eigene Landesuniversität mehr. In dieser Zeit bot die Königsberger Universität den kurländischen und anderen baltischen Studenten einen Ersatz, war sie doch die nächstgelegene und außerdem noch eine protestantische Hochschule, was für die ganz überwiegend lutherischen Studenten von großer Bedeutung war. Gerade in dieser Zeit lebte Immanuel Kant in Königsberg und wirkte an der dortigen Universität. Sein Ruf als berühmter Philosoph und „Weltweiser“ hatte sich auch im östlichen Mitteleuropa und besonders im Baltikum verbreitet. Er hatte auf diese Weise nicht nur viele Studenten aus dem Baltikum, sondern auch aus anderen Teilen des Russischen Reiches.
An drei Verbindungen Kants in die baltischen Provinzen sei hier kurz erinnert:
Die meisten seiner Werke sind in Riga im Verlag von Johann Friedrich Hartknoch (1740-1789) erschienen, der viele Jahre in Königsberg im Verlagswesen tätig gewesen war.
Kant bekam 1778 einen Ruf als Professor für Philosophie an die Academia Petrina in Mitau, den er aber wie von manchen anderen Universitäten und Akademien zugunsten Königsbergs nicht angenommen hat.
Sein Bruder Johann Heinrich (1735-1800) hatte wie er selbst in Königsberg das Fridericianum besucht und anschließend in seiner Vaterstadt Theologie studiert, und er war zudem in Philosophie, Literatur und Jura gründlich gebildet. Er ging 1758 als Hauslehrer zu adligen Familien nach Kurland, wurde später Rektor des Gymnasiums in Mitau und seit 1780 Pfarrer in Alt- und Neu-Rahden (Kreis Bauske) mit einer finanziell sehr viel besser ausgestatteten Stelle. In Alt-Rahden starb er im Jahre 1800.
Heinrich v. Offenberg – Schüler Immanuel Kants
Die große Zahl von Studenten, die bei Kant hörten, lassen sich u.a. auch durch Kants Eintragungen in die Stammbücher dieser Studenten nachweisen. Eine solche ist im Stammbuch des Heinrich v. Offenberg enthalten, das im CSA in einem kunstvoll reproduzierten Faksimile-Druck, Leipzig 1919, vorhanden ist (als Nr. 182 von 300 hergestellten Exemplaren). Das Original befand sich damals in der Bibliothek des Kurländischen Provinzialmuseums in Mitau. Es hat alle Gefährdungen des 20. Jhs. überstanden und befindet sich heute im Kunstmuseum der Rigaer Börse (frdl. Mitteilung von Frau Dr. Aija Taimiņa, Akademische Bibliothek Riga).
Heinrich v. Offenberg und Herzog Peter von Kurland
Heinrich v. Offenberg wurde 1752 geboren und starb 1827 in Mitau. Er studierte ab 1772 in Königsberg, kehrte dann in die Heimat zurück und trat in die Dienste Herzog Peters. Mit dessen tatkräftiger Förderung konnte er 1778 auf eine zweijährige Bildungsreise gehen, die ihn durch Deutschland, nach England, in die Schweiz und nach Italien führte. Der Herzog hatte ihm aufgetragen, von seiner Reise ein Stammbuch und ein Tagebuch mitzubringen, was auch geschah. Nach seiner Rückkehr nach Kurland machte er eine beeindruckende Karriere als Landesbeamter, die ihn bis ins Amt des Präsidenten des Kurländischen Oberhofgerichts in Mitau führte und zum Kaiserlich Russischen Geheimrat werden ließ. 1824 war er sogar stellv. Zivilgouverneur.
1815 war er Mitgründer der Kurländischen Gesellschaft für Literatur und Kunst, der er „fast alle seine Bücher, Handschriften, Bilder, Stiche, geschnittenen Steine, Antiquitäten und Kuriositäten hinterlassen“ hat (so Otto Clemen in seinem Nachwort, S. 2). Seine Arbeit für Kurland, zuerst noch in den Diensten Herzog Peters, dann der russischen Gouvernementsverwaltung, brachten ihm in allen Kreisen der Regierung und der Bevölkerung hohe Anerkennung ein.
Otto Clemen und die Faksimileausgabe
Otto Clemen, der Herausgeber des Faksimile-Druckes von 1919, hat in dem schon erwähnten Nachwort eine genaue Übersicht über die Personen gegeben, von denen Offenberg auf seinen Reisen Handzeichnungen und Autographen erhalten hatte, von denen eine Auswahl in diesen Faksimile-Druck aufgenommen wurde.
Immanuel Kant und sein Stammbucheintrag
Aus gegebenem Anlass sei hier nur auf die Eintragung von Immanuel Kant in Königsberg vom 23. Sept. 1773 verwiesen. Kant hat für Stammbucheintragungen seiner Gäste und Studenten nicht selten bis zu fünfzehnmal das gleiche Zitat verwendet. Die für Heinrich v. Offenberg gewählte Eintragung kommt dagegen bislang nur einmal vor. Das bedeutete wohl besondere Wertschätzung:
„Nullum numen abest, si sit prudentia - -“ [Juvenal: Satiren: Es mangelt kein Gott, wo Verstand ist].
Regiomonti, d. 23. Sept. 1773
Immanuel Kant
Log. et Met. Prof. ord.
Peter Wörster
Literaturhinweise:
DBBL: Deutschbaltisches Biographisches Lexikon. Hrsg. v. Wilhelm Lenz i.A. d. Baltischen Historischen Kommission, Köln u. Wien 1970.
Boetticher, Manfred v.: „Ists denn gar nicht möglich, eine Antwort zu bekommen?“ Immanuel Kant und sein Bruder Johann Heinrich (Zum 300. Geburtstag des Philosophen). In: Kurland [hrsg. von den Vereinigten Kurländischen Stiftungen], Nr. 31/2024, S. 12-18.
Clemen, Otto: Nachwort zur Faksimile-Ausgabe des Stammbuchs von Heinrich v. Offenberg. Leipzig 1919, S. 1-23.