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1973 – 2023: 50 Jahre deutschbaltische Kulturarbeit im Brömsehaus (Lüneburg) – Archivarische Blicke auf zwei bemerkenswerte Jubiläen

ARCHIVALIA BALTICA ONLINE 8. Ausgabe (April 2024)

Sammlungsarchiv zur baltischen Geschichte und Archiv der Carl-Schirren-Gesellschaft

Das Carl-Schirren-Archiv (CSA) im Eigentum der Deutsch-baltischen Kulturstiftung hat zwei Aufgabenfelder: Es ist zum einen ein Sammlungsarchiv zur Geschichte der Deutschbalten vor und nach den Umsiedlungen (1939/41) und zu ihren Herkunftsländern Estland und Lettland. Es ist zum anderen das Archiv der Carl-Schirren-Gesellschaft und der Kulturstiftung: Es bewahrt, erschließt, präsentiert auch die Akten der eigenen Organisation aus 90jähriger Tätigkeit (1932–1949 in Kiel, 1949–1951 in Ratzeburg, seitdem in Lüneburg), wobei die Kieler Zeit im CSA durch eigene Akten bislang praktisch nicht vertreten ist.




Max Hildebert Boehm, Erik Thomson und Vera von Sass an der Spitze der CSG

Nach der 1949 erfolgten Wahl von Prof. Max Hildebert Boehm (1891-1968) zum Vorsitzenden der Gesellschaft, verlegte dieser deren Sitz zuerst nach Ratzeburg, seinem damaligen Wohnort, und 1951 nach Lüneburg, wohin Boehm umgezogen war. Die erste bescheidene Geschäftsstelle der Gesellschaft befand sich im ersten Stock des Hauses Ilmenaustraße 2, nicht weit entfernt also von ihrem heutigen Sitz im Brömsehaus, Am Berge 35. Als 1952 die Nordostdeutsche Akademie (später Ost-Akademie) in der Herder-Straße fertiggestellt wurde, verlegte ihr Direktor Max Hildebert Boehm die Geschäftsstelle der Gesellschaft in dieses neue große Gebäude. Dort erhielt die CSG Büroräume, wo auch die Bibliothek aufgestellt und seit 1953 erste Archivalien untergebracht werden konnten. Dort konnte die Gesellschaft erstmals auch über einen eigenen Tagungsort verfügen.


Die ersten 20 Jahre waren geprägt von der langen Amtszeit von Max Hildebert Boehm als Vorsitzendem und den Amtszeiten von Erik Thomson und – ab 1960 – von Vera v. Sass in der Geschäftsführung der Gesellschaft, wobei Vera v. Sass dokumentarisch wertvolle Erinnerungen hinterlassen hat. Sie vermitteln aufschlußreiche Einblicke auch in diese erste Phase der Lüneburger Zeit der Carl-Schirren-Gesellschaft.


Das Brömsehaus in Lüneburg – neues Domizil der Carl-Schirren-Gesellschaft

Bis Anfang der 1970er Jahre waren die drei Institutionen (Ost-Akademie, Nordost-Institut und Carl-Schirren-Gesellschaft) so sehr gewachsen, dass die räumlichen Möglichkeiten eine Ausweitung der je eigenen Aktivitäten behinderten. Insbesondere die auf das Anwachsen der Sammlungen (Bücher, Archivalien und museale Güter) ausgerichtete Tätigkeit der Carl-Schirren-Gesellschaft stand einer Beibehaltung der bisherigen engen räumlichen Symbiose in der Herder-Straße entgegen. In diesem Moment stellte die Stadt Lüneburg das in ihrem Eigentum befindliche „Alte Haus am Berge“ der Carl-Schirren-Gesellschaft als Mieterin zur Verfügung. Dass dieses Haus späterhin meist und heute  ausschließlich „Brömsehaus“ genannt wird, geht auf die ersten Eigentümer, die Kaufmannsfamilie Brömse, zurück, die das Haus von 1406 bis 1422 hatte errichten lassen.


Eintrag im Gästebuch der CSG zur Eröffnungsfeier des Brömsehauses 1973
Eintrag zur Eröffnungsfeier 1973 (Signatur: CSA 200 Gästebücher 1, 3r)

Die CSG zog am 28. September 1973 in ihr neues Quartier ein und konnte im Jahre 2023 somit auf  50 Jahre deutschbaltischer Kulturarbeit an diesem Ort zurückblicken. An der Eröffnungsfeier, die der damalige  CSG-Vorsitzende Arved Frhr. v. Taube (1905-1978) leitete, nahmen 300 Gäste teil. Arved v. Taube schrieb in einem Artikel zur Gründung eines „Freundeskreises für unser Baltisches Kultur- und Begegnungszentrum“: „Die Stadt Lüneburg hat uns in einem der ältesten, schönsten Patrizierhäuser der Innenstadt auf 25 Jahre genug Räumlichkeiten vermietet, um sowohl das schnell wachsende Archiv wertvoller Baltica und unsere ebenfalls stetig sich vergrößernde Bibliothek angemessen unterzubringen, als auch Begegnungen, Sitzungen, kulturelle Veranstaltungen (Ausstellungen, Vorträge, kleine Konzerte, Filmvorführungen u.ä.) in unseren ‚eigenen vier Wänden‘ zu ermöglichen.“

 

Die damals große und sehr rührige Bezirksgruppe Lüneburg der Deutsch-Baltischen Landsmannschaft unter ihrem Vorsitzenden Hans-Jörn Adolphi (1930-2000) veranstaltete ihr erstes Treffen im Brömsehaus bereits am 25. Oktober 1973. Zu diesem Anlass lieferte Paul Etzold (1910-2017), ein Mitglied der Bezirksgruppe, ein Gelegenheitsgedicht, das im Gästebuch der CSG eingetragen wurde:


„Nun endlich! Wir haben eine Herberge –

die Landsmannschaft hat endlich ein Heim

im Brömse-Haus am Berge,

da zogen wir Balten heute ein.


Befreit von dem ständigen Wandern

von Gasthäusern und unwirtlicher Statt

suchten wir nach keiner andern,

weil sich ein eignes gefunden hat.


Es ist uns noch neu und doch schon vertraut

dieses Haus wie eines der Heimat,

recht hoch und winklig, gotisch gebaut,

es mit ihm manches gemein hat.


Zum heutigen Tage wir zahlreich kamen

zur ersten Begegnung im „Heim“.

Wir tragen alle unsere Namen

im Gästebuch der CSG hier hinein.


Nun folge noch manche Stunde

in unserem alt-neuen Haus

zu besinnlicher und fröhlicher Runde

bei Vortrag, Musik und Schmaus.“

 

25. Oktober 1973, Paul Etzold

 

Eintrag im Gästebuch der CSG zur 1. Sitzung der Bezirksgruppe der Landsmannschaft
Erstes Treffen der Bezirksgruppe der Landsmannschaft (Signatur: CSA 200 Gästebücher 1, 4r)

Zehn Jahre später – 1983 – ergab sich die Möglichkeit, dass die Carl-Schirren-Gesellschaft das Brömsehaus von der Stadt Lüneburg käuflich erwerben konnte. Dies geschah in der Amtszeit von Axel Frhr. von Campenhausen (geb. 1934) als Vorsitzendem.


Urkunden, Akten, Photos – Quellen auch zur Geschichte der Carl-Schirren-Gesellschaft

2021 konnte die CSG ein auf drei Jahre angelegtes Archivprojekt beginnen, das die seit den 1950er Jahren gesammelte Schriftgutüberlieferung neu sichten, ordnen, verzeichnen, verpacken und, mit Signaturen versehen, in ein Archivmagazin einlagern soll. Die Archivdatenbank sowie das Archivmagazin mit seiner Archivtektonik sind die beiden Herzstücke für die Nutzung. Wichtig ist, dass auch das in über sieben Jahrzehnten bei der CSG u. DKS entstandene dienstliche Schriftgut vom eigenen Archiv bewahrt, erschlossen und der künftigen Forschung zur Verfügung gestellt wird. Bis heute wurden bereits ca. 40 lfd. Regalmeter Dienstakten ins Archiv übernommen, die von der Verwaltung für die laufenden Geschäfte nicht mehr gebraucht werden. So ist dafür gesorgt, dass wertvolle Quellen zur Geschichte der Gesellschaft der künftigen Forschung zur Verfügung stehen.


Als ein besonderer Schatz haben sich die sieben Gästebücher der Gesellschaft erwiesen, die mit dem Einzug ins Brömsehaus 1973 begonnen wurden und jetzt im Archiv bereits für die Zeit bis 2016 vorhanden sind. Zahlreiche Eintragungen weisen nach, wer an Treffen, Begegnungen, Tagungen, kulturellen Veranstaltungen u. dgl. mehr teilgenommen hat. Weiterhin sind historische Ereignisse wie etwa die Übernahmefeier des Brömsehauses 1973, die Gedenkfeier für den 1978 bei einer Segeltour durch einen Unfall ums Leben gekommenen Arved Frhr. v. Taube, der Besuch des Bundeswirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff  am 18.1.1983, der Empfang aus Anlass der Unterzeichnung des Kaufvertrages des Brömsehauses am 15.3.1983, der Besuch einer Studentengruppe aus Lettland (Juli 1989), der Besuch des stellv. Bürgermeisters von Dorpat/Tartu am 26.8.1989, der Besuch einer Gruppe estnischer Historiker (u.a. Indrek Jürjo, Urmas Oolup, Teet Veispak, Sirje Kivimäe) am 11.6.1990, der Besuch einer Gruppe Deutschlehrer aus Lettland am 29.10.1991 und vieles andere mehr durch Photos und durch die Eintragungen der Gäste dokumentiert.


Die Baltische Gesellschaft und Egils Levits

Der besonderen Bedeutung für die baltischen Kontakte der CSG und des Brömsehauses wegen sei auf die Tagungen der Baltischen Gesellschaft in Deutschland verwiesen, die erkennen lassen, wer auch aus den Exilgruppen der Esten, Letten und Litauer sehr oft im Brömsehaus zu Gast war. Darunter dürfen nachträglich die Eintragungen von Egils Levits besondere Aufmerksamkeit beanspruchen (wohl die früheste von 1975), da dieser von 2019-2023 Staatspräsident seines Heimatlandes Lettland war.


Unterschriften zur Baltischen Konferenz 1975 im Gästebuch der CSG, u.a. Egils Levits hat unterschrieben
Egils Levits bei der Baltischen Konferenz 1975 (Signatur: CSA 200 Gästebücher 1, 23v)

Peter Wörster


Literaturhinweise:

BBLd: Baltisches Biographisches Lexikon digital. Hrsg. von der Balt. Hist. Kommission.

Boehm, Max Hildebert: 30 Jahre Carl-Schirren-Gesellschaft. In: Jb. d. balt. Deutschtums 1962 (Lüneburg 1961), S. 20-27.

Mickwitz, Gabriele v.: Eine kleine Geschichte der Carl-Schirren-Gesellschaft zu ihrem 65. Geburtstag. In: Jb. d. balt. Deutschtums, Bd. 44 (1997), S. 136-167.

Prehn, Ulrich: Max Hildebert Boehm. Radikales Ordnungsdenken vom Ersten Weltkrieg bis in die Bundesrepublik. Göttingen 2013.

Sass, Vera v.: Aus meinen Erinnerungen 1906-1986. 22 Folgen in: Baltische Briefe 2017-2023.

Strasser, Ernst: Das "Alte Haus am Berge". In: Jb. d. balt. Deutschtums, Bd. 20 (1973), S. 137-147.

Weiss, Andreas v.: In memoriam Arved Frhr. v. Taube. In: Jb. d. balt. Deutschtums, Bd. 27 (1980), S. 9-15.

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